Qualitätsbereich 2: Umgang mit Vielfalt

Welche Ziele verfolgen wir? Wir verstehen Heterogenität nicht nur als Chance, sondern als Voraussetzung für erfolgreiche Bildungsarbeit, die zu den individuell bestmöglichen Abschlüssen führt. Der Leitsatz des Schulprogramms lautet: „Jedes Kind ist einzigartig.“

Welche Maßnahmen zur Erreichung der Ziele setzen wir um? Unsere Schule nimmt in Jg. 5 jährlich 172 Schülerinnen und Schüler aus dem nahen Umfeld auf; darunter 12 Kinder mit unterschiedlichen Behinde-
rungen. Da stets bis zu 500 Anmeldungen vorliegen, führen wir innerhalb von drei Leistungsgruppen ein Losverfahren durch und erreichen so ein gesellschaftliches Abbild unserer Stadt. Bei der Klassenbildung berücksichtigen wir Erfahrungen aus den Grundschulen, Geschlecht, Leistungsheterogenität, Migrationshintergrund und Behinderungsart. Die 6 Klassen eines Jahrgangs sind räumlich um einen „Marktplatz“ angeordnet. Die Klassen werden von Jg. 5 bis 10 von einem Tutorenpaar geleitet, das viele Stunden in der Klasse erteilt und die individuelle Lernberatung steuert. In den ersten Monaten übernehmen ältere Schülerinnen und Schüler Patenschaften für die Kinder in Jg. 5. Beim seit 22 Jahren durchgeführten und lange wissenschaftlich begleiteten Gemeinsamen Unterricht (GU) verfügen unsere Lehrerinnen und Lehrer mit über das größte Erfahrungspotenzial in Deutschland.
Alle Kinder erfahren direkt, wie sie selbst gestaltend Einfluss auf das Schulleben nehmen können und lernen die Beratungs-, Unterstützungs- und Konfliktlösungssysteme kennen (Q4). Die Schulhymne wird eingeübt und die Identifikation mit der neuen Schule wächst schnell, da jedes Kind eine Wertschätzung seiner „Einzigartigkeit“ erfährt. In den 36 Klassenräumen ist der Lernstoff des Schuljahres (Jahresplan) sichtbar und wird durch Wochenpläne und individuelle Lernpläne, z.B. in Lerntagebüchern ergänzt, so dass individuelle Förderung Aufgabe des Unterrichts ist. Zur Verbesserung der individuellen Lernentwicklungsmöglichkeiten erwerben die Schüler von Beginn an Kompetenzen im Bereich des „selbstständigen und sozialen Lernens“, im Bereich „Gesundheitserziehung“ und im „praktischen Lernen“. Als selbstständige Schule haben wir die Stundentafel verändert, Absprachen zum Erwerb von Kompetenzen getroffen und die Möglichkeit genutzt, Lehrpläne zu entschlacken.
Unseren Schülerinnen und Schülern steht bis zur Klasse 10 ein Viertel des Stundenvolumens ausschließlich zur individuellen Begabungsförderung (IBF-Band) zur Verfügung. In Jg. 5 bis 7 ergänzen Förder- und Forderstunden in verkleinerten Gruppen den Fachunterricht. Je nach Situation und fachlichem Lernstand kann auf dieses Angebot zugegriffen werden, so dass die Laufbahn gesichert bzw. beschleunigt oder in der inhaltlich-methodischen Breite angereichert wird. Ab Jg. 6 kommt im IBF-Band ein Wahlpflichtfach hinzu (Fremdsprache, Naturwissenschaften, Arbeitslehre). Bis zur Klasse 7 können alle Schülerinnen und Schüler an einem Nachmittag aus einem Angebot von über 50 AGs wählen. Zunehmend nutzen Klassen die von der Schulleitung unterstützte Möglichkeit, die Heterogenität ihrer Lerngruppe nicht zu verändern und statt der an einer Gesamtschule üblichen äußeren Leistungsdifferenzierung eine zweite Lehrkraft einzubeziehen. Ab Jg. 8 regen wir nochmals zu individuellen Schwerpunktsetzungen an und eröffnen ein Angebot zur Spezialisierung und Talentförderung in mehrstündigen Kursen (Fremdsprache, Informatik, Förderunterricht, Kunst und Musik, Pädagogik und Psychologie, vertiefte Berufswahl). Als eine der ersten Schulen in Deutschland haben wir, neben Englisch, Französisch, Spanisch, Latein und Russisch, 2005 auch Chinesisch als Fremdsprache bis zum Abitur eingeführt. Kinder mit Migrationshintergrund und besonderen sprachlichen Defiziten erhalten zusätzliche Förderung, wobei wir mit Partnern zusammenarbeiten und kostenneutral Personalressourcen gewinnen (Senior Expert Service, Mentor Leselernhilfe). Der musikalischen Bildung messen wir hohen Stellenwert bei. Alle Schülerinnen und Schüler können in der Schule ein Musikinstrument ausleihen und erlernen; für Benachteiligte wird ein musiktherapeutisches Angebot vorgehalten. Der Religionsunterricht wird im Klassenverband durchgeführt.
Das Förderkonzept entsteht auf diagnostischer Grundlage und sieht eine intensive Lernentwicklungsberatung bis zum Schulabschluss vor. Die Schülerinnen und Schüler werden bereits während ihrer Grundschulzeit „abgeholt“, indem die dort vorhandenen Testergebnisse eingesehen und ggf. um weitere Tests (z.B. zur Schreibkompetenz, psychologische Testverfahren) ergänzt werden. Neben den Tutoren sind an dieser Aufgabe vier Beratungslehrkräfte, zwei Sozialpädagogen, die Schulpsychologin, ein Schulleitungsmitglied sowie, bei Bedarf, die Jugendhilfe beteiligt. Unsere Schülerinnen und Schüler nutzen in unserem offenen Lernklima intensiv die zeitlichen Freiräume der Ganztagsschule zu informellen Beratungen und nehmen zweimal im Jahr mit den Eltern an förmlichen Lernentwicklungsgesprächen teil, die von ihren Lehrerinnen und Lehrern durch pädagogische Konferenzen vorbereitet werden. Eltern erwerben, begleitend zu schriftlichen Informationen, in persönlichen Beratungsgesprächen und auf Informationsabenden Detailwissen zu den Möglichkeiten der individu-ellen Laufbahngestaltung. Weitere Bestandteile des Beratungskonzepts sind Musiktherapie, Prüfungsangsttraining, Endspurttraining, Suchtprophylaxe, Berufsfindung, Mediation, Mädchenarbeit, Jungenarbeit und Lehrer-Coaching. Besonders abgestimmt mit dem Elternhaus wird die Teilnahme von verhaltensauffälligen Kindern am „Fachunabhängigen Ausgleichsunterricht“ (FUA). In Kleinstgruppen arbeiten die sozialpädagogischen Fachkräfte mit den Kindern im leistungsfreien Raum an der Veränderung des jeweiligen Verhaltens oder widmen sich in gesprächstherapeutischer Weise seinen Ursachen. Wir haben in 30 Jahren das FUA-Konzept jeweils den veränderten Ursachen für Fehlverhalten angepasst und reagierten z.B. auf die gestiegene Zahl von Kindern, die unsachgemäß neuen Medien ausgesetzt werden oder die eine Ausprägung zur Gewaltbereitschaft zeigen. Weitere Schwerpunktthemen sind die Verinnerlichung von Klassen- und Schulregeln, die Bedeutung verbaler und non-verbaler Kommunikation, Umgang mit und Ausdruck von Gefühlen, Umgang mit Leistungsdruck und Prüfungsangst, Problemlösung und Konfliktfähigkeit, Umgang mit Aggressionen und Aggressionsimpulsen und die Wahrnehmung des eigenen Körpers. Persönliche Probleme oder Probleme innerhalb der Klassenstruktur werden vorrangig behandelt und mit Schwerpunktthemen verknüpft. Während die Gruppen zunächst klassenbezogen zusammengesetzt werden, bilden wir bei Bedarf auch fallbezogene Gruppen (z.B. „Scheidungskinder“). Eingesetzt werden Rollenspiele, Imaginationsspiele, Kreatives Schreiben, Entspannungstechniken sowie Übungen zur Perspektivübernahme.

Woran erkennen wir, ob wir die Ziele erreicht haben? Wir evaluieren unsere Förder- und Forderangebote regelmäßig. Dies betrifft die individuelle Ebene, u.a. bei der Teilnahme an FUA, Musiktherapie, Coaching, Rechtschreibförderung oder einem fachspezifischen Angebot. So wird z.B. die Lern- und Leistungsentwicklung aller an einem Förderangebot Teilnehmenden in Beziehung zur Leistung im Fachunterricht gesetzt, um die Qualität des Förderangebots bewerten zu können. Insbesondere bei der Bewertung des „Arbeits- und Sozialverhaltens“, aber auch beim Fachunterricht, beziehen wir Selbsteinschätzungen der Schülerinnen und Schüler ein. Alle Lehrkräfte erhalten über das rglm. und anonym durchgeführte Schüler-Feedback Rückmeldungen zu ihrem Unterricht (Q6). Zu den Schulabschlüssen und dem Qualitätsbericht der Schulinspektion wurden bereits Hinweise in Kapitel Q1 gegeben. Ergänzend zum Zeugnis können Zertifikate für Kompetenzerwerb in den Bereichen Fremdsprachen, Medien und Gesundheitsförderung erworben werden.

Wo suchen wir nach neuen Wegen? Wir sehen in der aktuell wirksam werdenden Neuregelung zur Einführung von 6 „Kopfnoten“ für das Arbeits- und Sozialverhalten eine Einschränkung unserer Praxis, der Individualität des Kindes gerecht zu werden. Vor 6 Jahren hatten wir erstmals das individuelle Arbeits- und Sozialverhalten sowie das persönliche Engagement in einem Wortgutachten ohne Notenvergabe beschrieben und dem Abschlusszeugnis beigefügt, was auch auf der Abnehmerseite geschätzt wird. Wir werden dieses bewährte Instrument auch in diesem Jahr beibehalten und haben eine entsprechende rechtliche Argumentation vorbereitet, da wir mit einer Intervention der Schulministerin rechnen. Auch in einem anderen Bereich der Leistungsbewertung sehen wir eine Zukunftsaufgabe: Wir wollen das Organisationsmodell des Leistungsportfolios weiterentwickeln und Leistungsnachweise anders organisieren, so dass Abkopplungen von einer Gleichtaktigkeit, in dem die gegenwärtigen Bemühungen um Individualisierung immer an Grenzen stoßen, möglich werden.


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